Kerstin Kampa-Schittenhelm - Tumore sind echte Knacknüsse —
PD Dr. med. Kerstin Kampa-Schittenhelm leitet eine Forschungsgruppe der Experimentellen Onkologie. Aktuell entwickelt sie Nanopartikel, die ein Tumor-Gen ausschalten
Manchmal führt ein vermeintlicher Fehler zum Durchbruch.
Nach Jahren an der Universität Tübingen versprach das Angebot aus St.Gallen eine strategische Neuausrichtung – und so brachen wir kurzentschlossen die Zelte ab. Nun lebe ich mit meiner Familie am Fusse des idyllischen Alpsteins. Dass mein Team in Tübingen gerne mitkommen wollte, freute mich sehr. Inzwischen ist das komplette Labor umgezogen.
Mein Start in St.Gallen fiel mit dem Lockdown zusammen – das machte das Einleben zunächst nicht einfach. Im Gegensatz zu einem grossen universitären Forschungsbetrieb ist das Medizinische Forschungszentrum hier viel beschaulicher, gleichzeitig sind Ausstattung und wissenschaftliche Leistung beeindruckend. Gerade in St.Gallen ist der Sprung in die Klinik durch die kurzen Wege und erstklassigen Kooperationspartner besonders gut möglich. Tübingen bin ich dennoch treu geblieben: Ein Pensum als Dozentin habe ich behalten – ich liebe den Umgang mit den jungen Menschen und freue mich, wenn ich sie für mein Gebiet begeistern kann, die Tumorforschung.
Wir untersuchen, weshalb Tumore entstehen, wie es zu Resistenzen gegenüber der Therapien kommt und vor allem, wie man verhindern kann, dass sich der Ursprungstumor in anderen Körperregionen ansiedelt. Vor einigen Jahren war ich zusammen mit meinem Mann in den USA in der Tumorforschung tätig. Diese Zeit hat uns sehr geprägt. Damals herrschte Goldgräberstimmung unter den Wissenschaftlern: Man hatte neue Medikamente entdeckt, die den Tumor gezielt schon bei der Entstehung angreifen. Bald stellte sich aber heraus, dass jeder Tumor wieder anders, praktisch individuell ist – das ist die grosse Herausforderung bei der Suche nach einer Therapie.
Denn Tumore sind echte Knacknüsse. Ein Tumor verändert sich auch unter Therapie immer weiter und ist uns damit meistens einen Schritt voraus. Zwar gelingt es unserer Therapie häufig, einen Grossteil der Tumorzellen abzuräumen, aber einige wenige Tumorzellen bleiben oft übrig. Und genau die haben es in sich: Sie schaffen es, sich zu verstecken und sich quasi «unter dem Radar» zu verbreiten. So entstehen neue Tochtergeschwülste fern des Ursprungs – manchmal Jahre oder gar Jahrzehnte nach der Diagnose.
In diesem Zusammenhang untersuchen wir jetzt ein spezielles Tumor-Gen, das wir vor einiger Zeit entdeckt haben. Dank unserer klinischen Kooperationspartnern am Kantonsspital St.Gallen konnten wir es bereits in vielen Tumoren nachweisen. Aktuell entwickeln wir Nanopartikel, die dieses Gen ausschalten sollen. Dafür werden die Nanoträger mit Molekülen beladen direkt zu den Tumorzellen gelenkt, um sie zu zerstören. Im Labor klappt das schon sehr gut – nun beschäftigt uns die Frage, ob unsere Ergebnisse auch im lebenden Organismus standhalten.
Einen wirklichen Durchbruch zu erzielen gleicht der berühmten Nadel im Heuhaufen. Bei der Tumorforschung geht es oft einen Schritt vorwärts und mehrere zurück. Es braucht Geduld, einen langen Atem und Frustrationstoleranz. Wir befinden uns auf einem Langstreckenlauf mit immer neuen Abzweigungen und Rückschlägen.In manchen Momenten versteht man nicht, warum etwas passiert. Und manchmal ist es wie bei der Entdeckung des Penicillins: Ein vermeintlicher Fehler führt zum Druchbruch. Man muss starre Denkmuster auflösen und bereit sein, sich auf Neues einzulassen. Wenn wir es dann schaffen, unsere Erkenntnisse in die Klinik zu bringen, ist das ein unbeschreibliches Gefühl und befeuert meine Motivation, dem Tumor einmal einen Schritt voraus zu sein.»