Natalia Pikor und Marian Neidert - Es gibt nichts Faszinierenderes als das Gehirn —
Wie können Immunsystem und Immuntherapie Gefahren abwenden, zum Beispiel bei MS oder einem Hirntumor? Dr. Natalia Pikor und Neurochirurg PD Dr. med. Marian Neidert sind der Antwort auf der Spur.
Natalia Pikor, Marian Neidert, Sie forschen beide am Institut für Immunbiologie. Womit beschäftigen Sie sich gerade?
Natalia Pikor: Im Labor Neuroimmunologie untersuchen wir, wie das Immunsystem auf eine Entzündungsreaktion im Gehirn reagiert – dies im Zusammenhang mit viralen Entzündungen, der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose und neuerdings auch mit bösartigen Erkrankungen des Zentralen Nervensystems.
Marian Neidert: Die aggressivste Form des Hirntumors, das Glioblastom, lässt sich bis heute nicht heilen – trotz aller Fortschritte bei der Operation und der Nachbehandlung. Im Forschungslabor Experimentelle Neurochirurgie suchen wir nach Immuntherapien gegen den Hirntumor und analysieren dafür das Gewebe. Unser Ziel: Die T-Zellen, die zur Gruppe der Lymphozyten gehören, sollen die bösartigen Zellen erkennen, von den gutartigen unterscheiden und eliminieren, bevor der Hirntumor wachsen kann. Diese attraktive und effiziente Lösung könnte in ferner Zukunft Operationen sogar überflüssig machen.
Noch sind Operationen nötig Herr Neidert, Sie sind nicht nur Forscher, sondern auch stellvertretender Chefarzt der Neurochirurgie. Wie gehen diese beiden Aufgaben zusammen?
Marian Neidert: Für mich ist es die perfekte Kombination: So habe ich das Beste aus zwei Welten in einer. Heute Nacht wurde ich zu einer Operation gerufen, weil eine junge Patientin so starke Symptome hatte. Wir operierten bis morgens um drei und konnten einen grossen Hirntumor ohne Komplikationen entfernen – ein gutes Gefühl. Als Neurochirurg kann ich direkt etwas gegen die Hirntumore tun, habe ein schnelles Resultat. Als Forscher hingegen brauche ich Geduld, selbst wenn die Fortschritte vielversprechend sind. In meinem Alltag verzahnen sich die beiden Aufgaben: Die Proben, die ich bei der Operation aus verschiedenen Zonen des Tumors entnehmen kann, analysiere ich später im Labor. Umgekehrt hilft mir mein Wissen aus der Forschung bei meiner Aufgabe als Arzt.
Das Wissen aus der Forschung hilft mir bei meiner Aufgabe als Arzt.
Frau Pikor, was fasziniert Sie am Gehirn?
Natalia Pikor: (Lacht.) Alles! Es gibt wohl nichts Faszinierenderes als das Gehirn. Als Wissenschaftlerin interessiert mich unter anderem, wie Immunreaktionen im Gehirn kontrolliert werden müssen, damit man darauf reagieren kann, bevor Schäden entstehen. Zudem eröffnen sich laufend neue Forschungsfelder, zum Beispiel mit dem Coronavirus.
Um Coronaviren geht es auch bei Ihrem Projekt, für das Sie die Stiftungsprofessur der Stiftung Experimentelle Biomedizin gewonnen haben. Was wollen Sie herausfinden?
Die Mechanismen und Krankheitsfolgen der Coronainfektionen jenseits der Lunge – zum Beispiel in Darm, Leber und im Zentralen Nervensystem. Wir müssen die Infektionsbedingungen entschlüsseln, um die Risikofaktoren bei Patientinnen und Patienten genauer definieren zu können, auch im Sinne der Prävention.
Sie haben in Toronto promoviert und sind 2015 für ein Praktikum im Anschluss an Ihr Doktorat nach St.Gallen gekommen. Wie erlebten Sie den Wechsel?
In jeder Hinsicht erfreulich. Ich kannte das Medizinische Forschungszentrum bereits von zahlreichen Studien, es gilt in der Immunbiologie als führend und hatte exzellente Resultate präsentiert. Trotzdem war ich überrascht vom hohen Standard der intellektuellen Förderung. Das Medizinische Forschungszentrum ist wohltuend klein, aber international hervorragend vernetzt – ich könnte mir keine besseren Bedingungen vorstellen.
Marian Neidert, Sie haben zuvor an den Universitäten Zürich, Boston und Tübingen geforscht. Was ist in St.Gallen anders?
In erster Linie das Familiäre. Man kennt sich, tauscht sich aus, hat viel mehr Interaktionen und profitiert voneinander. Klinik, Operationssaal und Labor sind eng vernetzt und auch räumlich nahe – für mich ist das ein riesiger Pluspunkt. In Boston betrug allein der Weg vom Operationssaal zum Labor fast eine Stunde.
Das Medizinische Forschungszentrum ist wohltuend klein, aber international grossartig vernetzt.